Kommentar: Verbrennen die Steelers ihren Quarterback?

written by Tobias Neumann
11 · 21 · 23

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Frage: Was haben Zach Wilson, Sam Darnold, Josh Rosen, Paxton Lynch und Blake Bortles gemeinsam? Jeder von ihnen wurde seiner Zeit in der ersten Runde gedraftet, sollte das neue Gesicht der Franchise werden, eine neue Ära gründen in New York, Arizona, Denver, Jacksonville. Keiner von ihnen galt unmittelbar nach dem Draft als “Reach”, also als Spieler, der von seinem Team eigentlich zu hoch eingeschätzt und gezogen wurde. Wenigstens nicht in dem Maße, dass man ihnen die Rolle des Franchise Quarterbacks nicht zugetraut hätte. Und…keiner von ihnen hat es geschafft. Wilson und Darnold wurden beide noch während ihres Rookie-Vertrags bei den Jets ersetzt, Darnold durch Wilson und dieser wiederum durch Veteran Rodgers. Wilson spielte zuletzt wieder. Weil er musste. Nicht, weil er sollte. Aber auch dieses Mal wurde er ersetzt.. Rosen bewies eindrücklich, wie groß der kognitive Sprung vom College in die NFL doch sein kann und wer von den neueren Fans der letzten Jahre weiß überhaupt noch, wer Lynch oder Bortles waren? Gerne haben wir damals von oben herab auf diese Teams und Spieler geblickt. Immerhin war eindeutig, was dort passierte: Schlechte Teams tun schlechte Dinge! 

Mehr als bei jeder anderen Position ist man als Rookie Quarterback von seinem Team abhängig. Und wer den hohen Draft Pick für den besten Playcaller im Draft innehat, besitzt diesen nicht, weil alles vorher rund lief. Der beste Spieler bekommt traditionell die schlechtesten Umstände vorgesetzt und soll den Franchise-Karren dann aus dem Dreck ziehen. Schlechte Teams werfen dann all ihre Probleme auf die Schultern des frisch gebackenen First Overall Picks und sehen zu, wie dieser dabei versagt, das Team mit nichts als den eigenen Händen aus der Misere zu ziehen, bevor er dann als vermeintlicher “Draft Bust” wieder entsorgt wird.

Gute Teams hingegen sorgen zuvor für ein gemachtes Nest, verstärken Offensive Line und Receiving Corps, stellen einen Übergangs Starter ein, der übernimmt, bis der Auserkorene fit ist, das Team zu übernehmen. Für potentielle Erstrunden Quarterbacks ist es genau deshalb in der Regel besser, später in der ersten Runde gedraftet zu werden und so zu einem Team zu finden, das eben nicht von ganz unten startet. Ein Team, das die Rahmenbedingungen bietet, sich gut entwickeln zu können.

Und ich bin mit dieser Meinung nicht alleine. Brett Kollmann beschäftigte sich letztes Jahr in seinem Video “Why only 30% of first round quarterbacks succeed” mit eben dieser Thematik. Er schätzte gerade einmal 10 der 31 zwischen 2011 und 2020 gedrafteten Prospects als Hit ein und erklärte im Verlauf des Videos, dass es vor allem später gedraftete Spieler deutlich einfacher in ihrer Entwicklung haben.

Ich hatte die Steelers immer für ein gutes Team gehalten. Nicht bezogen auf die Qualität auf dem Feld, sondern auf die Organisation solcher Situationen. Eine “Tanking Season” für die nächste College Prodigy aufgeben? in Pittsburgh undenkbar! 2022 war dann das Jahr der Entscheidung. Ben Roethlisberger legte seine Pads ab und gab den Platz frei für jemand neues. Und die Steelers waren nicht sparsam bei den Vorbereitungen: Mit Mitch Trubisky verpflichtete man jemanden, der als Starter die Stellung halten konnte, bis der Nachwuchs bereit wäre. Notfalls bis 2023, sollte man im Draft nicht fündig werden. Schwachstellen in der Offensive Line wurden mit Mason Cole und James Daniels ausgebessert. Das Receiving Corps war mit Diontae Johnson, Pat Freiermuth und Chase Claypool gut besetzt, stand aber zusätzlich hoch auf dem eigenen Draft Board für eine weitere Option, die mit George Pickens auch in der zweiten Runde folgen sollte. Perfekte Bedingungen für einen jungen Rookie Quarterback, nicht?

Kurzer Zeitsprung → November 2023.

Die Offense war eine Achterbahn. Hoch gehyped in der Preseason, bekam man ab Woche eins die Realität unsanft ins eigene Gesicht gedrückt. Zu einfach war sie, zu durchschaubar, zu wenig Abwechslung, zu viel Canada. Apropos Canada. Wo sind sie eigentlich hin, die ganzen “Fire Canada” Chants, die man Woche für Woche und weit über das Heinz Field hinaus wahrnehmen durfte? Realisiert man langsam, dass es vielleicht nicht, oder zumindest nicht nur am Playbook und dem Play Calling am Spieltag liegt? Am 02.11. verkündete man, der OC würde das anstehende Thursday Night Game von der Sideline betreuen. Und was war es für ein Feuerwerk! In einem nie dagewesenen Shootout schenkten wir den Titans bei uns zu Hause… checkt Notizen… 20 Punkte ein. Ist das der Maßstab, den wir inzwischen an unser Team ansetzen? Versteht mich nicht falsch, ich halte die Steelers als Gesamtkonstrukt für kein schlechtes Team. Wenn wir aber über weite Teile unserer Games jeden Ball unmittelbar nach der Übernahme punten könnten und sich am Ergebnis nichts ändern würde, dann stimmt einfach etwas nicht. Trotz einem Receiving Corps, das in seiner Gesamtheit und auf das Talent bezogen bestimmt zu den Top 10 der Liga gehört. Trotz einem Running Game, das in den letzten Wochen gezeigt hat, wozu es in der Lage ist. Trotz einer Offensive Line, die zwar noch mindestens eine Baustelle hat, aber come on… es gibt andere Quarterbacks, die hinter deutlich schlechteren Blockern deutlich mehr reißen.

Und jetzt kommt der entscheidende Teil: Es liegt inzwischen nicht mehr am Playbook, dem Play Calling oder den Konzepten, die man aufs Feld bringt. Die Spielzüge werden komplexer und man bekommt sogar vereinzelt Lob aus Expertenkreisen. Seit ein paar Wochen häufen sich aber mehr und mehr Clips auf Social Media von offenen Receivern, übersehenen Routen, schlecht platzierten Pässen und schlichtweg schlechten Entscheidungen seitens Pickett. Der Grund für die schlechte Offense ist derzeit nichts schematisches. Es ist einfach schlechtes Quarterback-Spiel!

Ist das so einfach zu durchschauende Playbook Canadas am Ende doch ein notwendiger Kompromiss gewesen, um Kenny nicht zu überfordern? Wer soll schon von ihm erwarten, mehrere Reads in einem Play zu machen, Coverage Shells und Rotationen im Backfield unter Druck zu lesen, wenn er dann wiederum weit offene Receiver auf Mesh-Routen übersieht? Ein Konzept, das aufgrund seiner Effektivität und einfachen Lesbarkeit bereits auf High School Niveau gespielt wird. Fast alles, was Kenny als Quarterback in der Defense liest, scheint vor dem Snap zu passieren. Mit dem Moment, in dem er den Ball von Center Cole bekommt, steht sein Ziel meist schon fest. Und das sieht man. Ist die Option gedeckt, wirft er entweder einfach trotzdem dorthin und legt das Play in die Hände seiner Receiver, um das Play irgendwie zu retten. Oder er rollt in typischer Pickett-Manier nach links aus der Pocket, sobald Druck kommt, um den Ball dann letztendlich doch wieder nur über die Boundary zu entsorgen.

Das Schlimme daran ist, dass genau das mal Kennys Stärke war. Kritik gab es zum Draft an seinem Verhalten in der Pocket, an seinem Arm, seiner Athletik, aber nie an seiner Fähigkeit, das Spiel zu lesen. Ganz im Gegenteil: Auf College Niveau gibt man Quarterbacks gerne sogenannte “Progressions” vor. Also eine Abfolge von potentiell offenen Receivern in einem Play. Die erste offene davon wird angeworfen. Das ist einfach umzusetzen. Man muss die Plays nur auswendig lernen und anwenden. Kenny war weiter. Er las schon am College erfolgreich Defenses, wusste vor dem Snap, was kam und reagierte mit dem Ball in der Hand auf Änderungen und Trap Plays. Dieses “wenn das, dann das” Verhalten wurde auch von der Fachpresse mehrere Male in Interviews über die Saison hinweg angesprochen. Beziehungsweise, dass sich eben dieses inzwischen vermissen lässt.

Sind wir vielleicht doch einfach eins dieser schlechten Teams, die ich eingangs nannte? Sind wir trotz bester Bedingungen im Team nicht in der Lage, Kenny mit unserem Coaching Staff auf die nächste Ebene zu heben? Ich halte es inzwischen für gar nicht so unwahrscheinlich, dass das Versagen zwar im offensiven Coaching liegt, aber eben nicht im Playbook bzw. den taktischen Fähigkeiten Canadas. Bereits nach Woche zwei hieß es, Canada würde noch mehr direkt mit Kenny arbeiten. War Quarterbacks Coach Matt Sullivan, der nun entsprechend weniger Zeit mit seinem Starter zur Verfügung hat, doch nicht nur das Bauernopfer, für das wir ihn an der Stelle gehalten haben? Wissen die Steelers, dass sie derzeit ihren Franchise Quarterback verbrennen? Ich denke ja. Ich denke aber auch, dass die Steelers, ganz Steelers like, vermutlich nicht schnell genug handeln werden, um den entstandenen Brand auch wieder zu löschen.

Das Ganze ist im Endeffekt nur eine laienhafte Einschätzung von mir, einem Fan. Von jemandem, der sich die Situation mit beschränkten Möglichkeiten von außen anschaut. Vielleicht habe ich damit auch komplett unrecht, vielleicht aber auch nicht und vielleicht ist auch alles nur halb so schlimm, wie ich es mir in meinem Kopf vorstelle. Wenn ich aber nicht komplett abseits der Realität unterwegs bin, dann herrscht im Rooney Komplex akuter Handlungsbedarf, den man auch mit einem einfachen “Fire Canada” nicht lösen kann. Es ist Zeit, dass die Steelers ihre innere Struktur selbst unter die Augen nehmen, hinterfragen und Maßnahmen treffen. Diese müssen im Zweifel nicht einmal Personalwechsel zur Konsequenz haben. Aber es muss etwas getan werden, zum Wohle Kennys, der Offense und damit im Endeffekt des ganzen Teams.

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